Mittelstand bleibt dem HGB Abschluss treu. Warum die freiwillige Anwendung von IFRS noch immer die Ausnahme ist?

Seit 2005 müssen kapitalmarktrelevante Unternehmen ihre Bilanz nach internationalen Rechnungslegungsregeln, den sogenannten IFRS (International Financial Reporting Standards), aufstellen. Nicht am Kapitalmarkt orientierte Unternehmen, zu denen die überwiegende Mehrzahl des deutschen Mittelstands zählt, haben das Wahlrecht, ihren Konzernabschluss freiwillig nach IFRS oder weiterhin nach den traditionellen Regeln des deutschen Handelsrechts, dem HGB, zu erstellen. Die beiden Regelwerke stehen im Bereich der nichtkapitalmarktorientierten Rechnungslegungen also in einem lebhaften Wettbewerb. Es wurde bislang angenommen, dass sich auch Unternehmen mit Wahlrecht wegen des weiteren Zusammenrückens des EU-Binnenmarkts und der Zunahme grenzüberschreitender Beziehungen vermehrt der weltweit anerkannten Bilanzsprache IFRS zuwenden würden. Wissenschaftler und Praktiker aus der Bilanzierung und Prüfung kritisieren jedoch zunehmend die starke Entobjektivierung der Rechnungslegung, die vermehrten bilanzpolitischen Gestaltungspotentiale und die hohe Volatilität des Ergebnisausweises. Darüber hinaus werden ein steigendes Maß an Regelungskomplexität und Regelungsumfang sowie die hohe Änderungsdynamik des IFRS-Regelwerks beklagt. Das Centrum für Bilanzierung und Prüfung (CBP) der Universität des Saarlandes hat jetzt untersucht, in welchem Maß die IFRS vom deutschen Mittelstand angenommen werden.

Das Ergebnis muss für IFRS Befürworter ernüchternd sein. In den Jahren 2009 und 2010 wurden unverändert 94% aller Konzernabschlüsse nach HGB erstellt und nur ca. 6% nach IFRS. Im Zeitraum 2007 bis 2010 stellten jährlich deutlich weniger als 1% der Unternehmen mit Wahlrecht ihre Abschlüsse freiwillig von HGB auf IFRS um. Warum ist das so?

Für Unternehmen, die viele ausländische Tochtergesellschaften konsolidieren müssen, können die durch eine einheitliche IFRS Anwendung möglichen Effizienzgewinne bei die Konsolidierung den Mehraufwand kompensieren, den ein IFRS Einzelabschluss in der Regel gegenüber einem Abschluss nach lokalen Rechnungslegungsvorschriften, wie dem HGB, verursacht. So hat die Studie festgestellt, dass die obligatorischen Anhangangaben im Durchschnitt 400% zwischen letztem Abschluss nach HGB und erstem Abschluss nach IFRS gestiegen sind. Dies verursacht einerseits zusätzlichen internen Aufwand und externe Beratungs-/Prüfungskosten im Zusammenhang mit der Erstellung des Abschlusses, andererseits kann es für mittelständische Unternehmen auch bedeuten, dass sie wettbewerbsrelevante Informationen preisgeben müssen, die sie eigentlich lieber intern halten würden. Auch die oft zitierte These, eine Rechungslegung nach IFRS würde durch die höhere Transparenz das Rating erhöhen und die Finanzierungskosten senken, konnte in der CBP Studie nicht bestätigt werden. Zwar wurde im Übergangszeitpunkt von HGB auf IFRS ein Eigenkapitalzuwachs von rund 15% gemessen. Da diese Erhöhung sowie Veränderungen anderer Bilanzkennzahlen jedoch durch die Anwendung eines anderen Normensystems und nicht durch Veränderungen im Geschäftsmodell oder der Wettbewerbsfähigkeit verursacht werden, ist davon auszugehen, dass ein funktionierendes und sachgerechtes Ratingverfahren diese Scheinverbesserungen durch einen Korrekturfaktor ausgleicht.

Die Frage, ob die IFRS hierzulande eine echte Option für mittelständische Unternehmen sind, wird in der Tendenz durch die Studie mit einem klaren “Nein” beantwortet – sofern es sich nicht um Großkonzerne handelt, die international tätig sind oder viele ausländische Tochterunternehmen konsolidieren müssen. Für alle anderen, kapitalmarktunabhängigen Mittelständler dürfte der Übergang auf IFRS unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten wenig sinnvoll sein und in nicht ernsthaft in Betracht kommen.

Quelle: FAZ vom 20.08.2012, S. 10

Copyright 2024 by GWU

Impressum